Achtsamkeit schützt Menschenleben

Am 20. November findet an der Autobahnkapelle in Gescher wieder das Gedenken an die im Dienst verunglückten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Straßenbetriebsdienste der Autobahn GmbH und des Landes Nordrhein-Westfalen statt. Wie gefährlich die Arbeit auf und neben der Autobahn sein kann, weiß Heiko Kemper, Leiter der Autobahnmeisterei Dorsten. Im Interview appelliert er an die Aufmerksamkeit aller Verkehrsteilnehmer.


47 Unfälle mit Beteiligung von Betriebsdienstfahrzeugen der Autobahn GmbH gab es in den vergangenen zwölf Monaten allein in den Niederlassungsgebieten Westfalen und Rheinland, die sich weitgehend mit dem Bundesland Nordrhein-Westfalen decken. 47 Mal der Schreck, wenn ein Fahrzeug in die Baustellensicherung kracht, 47 Mal glücklicherweise keine oder nur leichte Verletzungen bei den Mitarbeitern und den Unfallverursachern. Aber auch 47 Mal der Gedanke: Was passiert beim nächsten Mal?

Heiko Kemper ist seit 25 Jahren Leiter der Autobahnmeisterei Dorsten. Hier hat er den Beruf des Straßenwärters gelernt und war selbst auf der Strecke unterwegs, bevor er mit einer Zusatzausbildung zum Techniker mehr Verantwortung übernahm. 

In Ihrer Meisterei war ein Mitarbeiter im vergangenen halben Jahr gleich zweimal in einen Unfall verwickelt. Beim zweiten Mal wurde er verletzt, es geht ihm aber schon wieder besser. Was macht das mit Ihnen und Ihren Mitarbeitern?

Heiko Kemper: Das Telefon klingelt immer zuerst bei mir. Meine Leute rufen an und sagen „Du musst die Polizei schicken“. Natürlich fragt man dann, ob jemand ernsthaft verletzt ist. Und diese Frage bleibt auch im Kopf, wenn ich mich auf den Weg zur Unfallstelle mache. Liegt da einer meiner Leute? Ist er ansprechbar? Was ist passiert? Beim letzten Unfall war ich schneller als der Rettungswagen vor Ort. Und da trifft man dann nicht nur auf einen möglicherweise verletzten Kollegen, sondern auch auf sein Team. Und denen zittern auch die Hände.

Mit welchem Gefühl gehen denn diese Mitarbeitenden am nächsten Tag wieder auf die Strecke? 

Kemper: So ein Unfall muss auch von den Kollegen, die nicht beteiligt waren, verarbeitet werden. Das funktioniert hier auf der Meisterei sehr gut im Gespräch. Wir setzen uns zusammen, reden über die Ereignisse. Wer will, kann psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Und die Kollegen sprechen natürlich auch untereinander über die Gefahren und das Glück, dass nicht mehr passiert ist. Und das nicht nur direkt nach dem Unfall, sondern immer wieder. Schon der Anblick der zerstörten Sicherungstafel, die noch auf dem Hof steht, holt die Bilder in den Kopf zurück. Früher sind die Unfallfahrzeuge direkt in die Werkstatt geschleppt worden, weil man die Kolleginnen und Kollegen nicht belasten wollte. Heute haben wir sie oft noch längere Zeit auf dem Hof. Und das ist gut. So gibt es immer wieder einen Anlass, um über die Geschehnisse zu sprechen. Sie nicht zu verdrängen. Und auch über die eigene Sicherheit nachzudenken. 

Wie geht es den direkt Betroffenen, wenn sie nach einem Unfall wieder einsteigen?

Kemper: Da fehlt irgendwann die Gelassenheit. Zumal die Mitarbeitenden in den Sicherungsfahrzeugen ja den Verkehr im Rückspiegel im Blick haben. Und sie sehen, wenn etwas passiert, können aber nicht mehr reagieren. Und selbst wenn die Anhänger nur gestreift werden, ist der Aufprall massiv zu spüren. Beim letzten Unfall hat sich der Fahrersitz komplett verdreht. Selbst wenn die Geschwindigkeit beim Aufprall nur noch bei 60 oder 70 km/h liegt, kann hier viel passieren. Und wir wissen vor allem, dass es immer wieder passieren wird. 

Eine der Hauptursachen für die Unfälle ist Unaufmerksamkeit der Fahrer. Wie geht man damit um, wenn man weiß, dass das Leben von einem selbst und das der Kollegen auf dem Spiel steht?

Kemper: Das lässt einen eigentlich ratlos zurück. Da steigt der Sprinterfahrer nach einem Unfall aus und sagt, er hätte aufs Handy geschaut. Ein anderer meinte, dass er sich ganz vorne einfädeln wollte, aber es habe ihn niemand mehr hereingelassen. Da war er aber schon an zwei Vorwarntafeln vorbei, die auf die Spursperrung hingewiesen haben. Und dann hat es geknallt. Wir wissen, dass gerade Lkw-Fahrer unter einem hohen Druck stehen. Sie sollen pünktlich von A nach B kommen, der Verkehr lässt sie aber oft nicht. Dann wird alles während der Fahrt erledigt. Kaffee, Papiere, Handy – ein Blick darauf, das sind schon mehrere hundert Meter im Blindflug. 

Lassen sich noch mehr technische Hilfsmittel für die Sicherheit des Betriebsdienstpersonals bereitstellen? 

Kemper: Technisch haben wir eigentlich schon fast alles ausgereizt. Und das hat auch enorme Verbesserungen gebracht. Wenn sich die C-ITS-Technik, mit der Warnungen in die Fahrzeuge gesendet werden können, weiter durchsetzt, kommt ein weiterer Puzzlestein für mehr Sicherheit hinzu. Vor allem aber bei den sogenannten Wanderbaustellen sind die Möglichkeiten weitgehend ausgereizt. Denn Schwellen auf der Fahrbahn lassen sich nicht mitziehen und auch LED-Tafeln, die vielleicht mehr Aufmerksamkeit als ein Tempo-80-Schild erzeugen, können nicht mitwandern. Unsere größte Herausforderung ist derzeit die enorme Zunahme vor allem des Lkw-Verkehrs. Wenn die Fahrzeuge auf der rechten Spur Stoßstange an Stoßstange fahren, sind für die übrigen Verkehrsteilnehmenden die Vorwarner auf der Standspur kaum noch zu sehen. Wir werden in bestimmten Bereichen darum künftig eine Vorwarntafel mehr auf die Strecke schicken. Für mehr Sicherheit. 

Können die Straßenwärterinnen und Straßenwärter selbst etwas für ihre Sicherheit tun?

Kemper: Ganz bestimmt. Wer auf der Strecke mit dem Bewusstsein für die Gefahren unterwegs ist, kann viel für die eigene Sicherheit tun. Damit dieses Bewusstsein immer präsent ist, investiert die Autobahn GmbH in Schulungen für das Betriebsdienstpersonal. Bei einem regelmäßig stattfindenden Sicherheitsparcours werden die Sinne geschärft und oft gefährliche Routinen hinterfragt. Und auch im Alltag sprechen wir in den verpflichtenden Unterweisungen die Themen regelmäßig an. Was auch zu mehr Sicherheit beiträgt, ist eine gute Schutzausrüstung – also zum Beispiel sichtbare Kleidung für jedes Wetter. Da bietet die Autobahn ein gutes Equipment an. Sichtbar sind unsere Mitarbeiter – jetzt müssen die Verkehrsteilnehmenden nur noch hinschauen. 

Was wünschen Sie sich noch von den Verkehrsteilnehmenden?

Kemper: Weniger Aggressivität. Mehr Gelassenheit und vor allem: Lassen Sie sich nicht ablenken! Ein Menschenleben ist so wertvoll. Wertvoller als jede Mail oder Sprachnachricht. 

 

Hintergrund

  • Im Bereich Technik wird immer wieder investiert, um den Arbeitsplatz Straße für die Mitarbeitenden sicherer zu machen. So werden die Autobahnmeistereien nach und nach mit so genannten Anpralldämpfern ausgestattet, die hinter einer Sicherungstafel die Energie eines auffahrenden Fahrzeugs aufnehmen sollen.
  • Standard ist eine vergleichsweise preiswerte Lösung, die bei stationären Tagesbaustellen die Vorwarner zusätzlich absichert: Auf der Fahrbahn bzw. dem Standstreifen liegen hinter dem Fahrzeug schräg zur Fahrtrichtung mobile Warnschwellen, die die Verkehrsteilnehmenden im wahren Wortsinn wachrütteln.
  • Kooperative intelligente Verkehrssystemen (C-ITS) zeichnen sich dadurch aus, dass die Verkehrsinfrastruktur und Fahrzeuge miteinander vernetzt sind. Ein Beispiel für einen C-ITS-Dienst ist der Baustellenwarner: Zurzeit werden die fahrbaren Absperrtafeln der Autobahn GmbH bundesweit mit speziellen Kommunikationseinheiten (ITS Roadside Units) ausgestattet. So können Fahrzeuge in Echtzeit via Direktkommunikation informiert werden, wenn sie sich einer Tagesbaustelle nähern. Diese Technik ist leider noch nicht in allen Fahrzeugmodellen verfügbar. 

Ansprechpartner

Susanne Schlenga

Kommunikation Außenstelle Hagen

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Die Autobahn GmbH des Bundes

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